Statement zur Abtreibung  (Univ. Prof. Dr. Hans Rotter SJ, Innsbruck)

Abtreibung hat eine jahrtausende alte Geschichte. Darin kommt zum Ausdruck, dass es immer wieder Frauen gegeben hat, die durch eine ungewollte Schwangerschaft in größte Not gekommen sind. Wenn man das bedenkt, dann ist auch deutlich, dass im Kampf gegen die Abtreibung positive Maßnahmen wie Beratung, Unterstützung u.dgl., wie das z.B. die Aktion Leben versucht, weitaus wirksamer sind als negative Maßnahmen, etwa des Strafrechts.

Im Zusammenhang um das Bemühen gegen eine unerwünschte Schwangerschaft stellen sich verschiedene ethische Fragen:

1. Zum Beginn des menschlichen Lebens:

Ab wann ist hier ein Eingriff nicht mehr zu verantworten? Es geht hier unter anderm um die Bewertung von Antikonzeptiva, um die Bewertung der Spirale, der Pille danach und Myfegyne.

Wenn ich die moraltheologische Diskussion richtig überschaue, dann kann ich etwa folgendermaßen zusammenfassen:

a) Das menschliche Leben beginnt dort, wo der Prozeß beginnt, der zu der Entwicklung eines individuellen neuen Menschen führt. Damit sind noch nicht Samen- und Eizellen gemeint, weil die für sich betrachtet noch nicht auf ein bestimmtes individuelles Leben hingeordnet sind. Dieser Prozeß beginnt erst dort, wo die Vereinigung der Geschlechtszellen stattgefunden hat. Es wird darauf hingewiesen, dass die Vereinigung von Samen- und Eizelle im Extremfall bis zu sechs Tage nach einem Geschlechtsverkehr stattfinden kann. Auch das Eindringen des Spermas in die Eizelle muß noch nicht Anfang der gemeinten Entwicklung sein. Dazu ist erforderlich, dass sich die einfachen Chromosomensätze der männlichen und der weiblichen Geschlechtszelle zu einem neuen, doppelten Chromosomensatz vereinigen und daß dann die Entwicklung startet.

Weiters wird davon gesprochen, dass die Entwicklung von der Befruchtung der Eizelle bis zu ihrer Einnistung im Uterus, die etwa 10 Tage dauert, so komplex sei, dass hier viele Faktoren funktionieren müssen, damit die Entwicklung tatsächlich weitergeht. Man hat deshalb diese Phase vor der Nidation als eine Phase von Versuch und Irrtum bezeichnet.

Insbesondere weist man darauf hin, dass in dieser Phase ein erheblicher Teil der befruchteten Eizellen, etwa 50%, vom Organismus abgestoßen werden. Den Grund dafür sieht man vor allem in Chromosomenanomalien. Man deutet das als eine natürliche Abwehr des Körpers gegen die Entwicklung behinderter Kinder. So hat man davon gesprochen, daß etwa mongoloide Kinder nur geboren werden, wenn dieser Abwehrmechanismus versagt habe.

Man darf nun wohl der Meinung sein, dass es keine sittliche Verpflichtung gibt, diese Abwehr auszuschalten, auch dann nicht, wenn man das könnte. Das heißt, dass hier noch nicht die gleiche Verpflichtung besteht, menschliches Leben zu erhalten, wie das dann später anzunehmen ist.

Das ist also ein erster Ansatz für eine unterschiedliche ethische Bewertung verschiedener Phasen in der Entstehung menschlichen Lebens. In dieser frühesten Phase besteht noch keine Verpflichtung medizinische Mittel einzusetzen, um menschliches Leben zu erhalten.

Um diesen Gedanken noch etwas weiterzuführen, möchte ich auf Äußerungen von Johann Huber u.a. hinweisen, die sagen, dass man die Fristenlösung zu lange angesetzt habe, und dass man sie verkürzen solle, damit keine Föten abgetrieben werden, die bereits Sinnesorgane ausgebildet haben und möglicherweise Schmerz empfinden. Wenn man schon abtreibe, dann solle man es in einer früheren Zeit tun, wo solche Empfindungen noch nicht auftreten können.

Erst recht ist es zu kritisieren, wenn behinderte Föten bis kurz vor der Geburt abgetrieben werden können und dann die Fälle auftreten, wo sich nach der Abtreibung erweist, dass es sich um lebensfähige Kinder handelt. Denn da wäre die Abtreibung eigentlich bereits einer Kindstötung gleichzusetzen. Ich denke, dass man die verschiedenen Phasen in der Entwicklung des menschlichen Lebens nicht einfach gleichsetzen soll, sondern wenn schon der Entschluß zu einer Abtreibung gefallen ist, dann soll er möglichst früh verwirklicht werden.

Noch ein Wort zu den sprachlichen Ausdrücken: Abtreibungsgegner bezeichnen mit Vorliebe die Abtreibung als Mord. Dazu ist zu sagen, dass natürlich die Abtreibung eine Tötung menschlichen Lebens ist, dass wir aber unter dem Begriff Mord eine vorsätzliche und böswillige Tötung verstehen. Darin ist auch eine Verurteilung der Täter, also in unserem Fall vor allem der Mutter, enthalten. Deshalb wenden sich manche sehr entschieden gegen diesen Ausdruck.

Wir haben verschiedene Wörter für Töten. Das Wort Töten ist relativ wertfrei. Wir kennen daneben auch die Notwehr bzw. das Töten aus Notwehr, das ja sittlich berechtigt sein kann und deswegen nicht als Verurteilung wirkt. Wenn wir keinen Wert darauf legen, die Frau moralisch verurteilen zu wollen, dann sollten wir also den Begriff Mord meiden und zunächst einfach von Töten sprechen. Wir können damit der Tatsache Rechnung tragen, dass sich die betroffenen Frau oft in einer extremen Zwangslage besfindet, oft von außen unter Druck gesetzt wird und sich zur Tat nicht einfach aus krimineller Böswilligkeit entscheidet, sondern aus einer Art Verzweiflung. Der Frau ist in dieser Situation nicht dadurch zu helfen, dass man sie verurteilt, sondern sie braucht Verständnis und Beistand. Die Flüchtlingsfrauen aus dem Kosovo zunächst darauf hinzuweisen, dass Abtreibung eine schwere Sünde sei, ist in dieser Situation alles andere als feinfühlend. Sie brauchen Trost, Ermutigung und Unterstützung. Sie brauchen ein Mitgefühl für ihr erlittenes Unrecht. In manchen Gegenden, ich weiß nicht ob das auch für den Kosovo zutrifft, werden ja Frauen nach einer Vergewaltigung von ihren Männern nicht mehr akzeptiert, manchmal sogar getötet.

Was für diese Frauen gilt, gilt aber auch, wenn auch nicht in dem Ausmaß für viele andere Frauen, die ungewollt schwanger geworden sind und sich jetzt in einem schweren Lebenskonflikt befinden. Dass sie nicht abtreiben sollen, ist eine Sache, und man soll ihnen alle Hilfe geben, damit sie von diesem Gedanken abkommen. Eine andere Sache ist, dass sie sich oft menschlich in schwerer Not befinden. Deshalb sollte man Frauen in dieser Situation besonders behutsam und verständnisvoll behandeln.