Marc Chagall ist Jude. Er stammt aus xxx
der Welt des jüdischen Chassidismus, einer Erneuerungsbewegung des russischen Judentums.
1938, im Jahr der Reichskristallnacht, taucht der Gekreuzigte in seinen Bildern auf als Zeichen für das Leidensschicksal des jüdischen Menschen, ja des Menschen schlechthin. Der "Sturz des Engels" ist ein Schicksalsbild unserer Zeit.
Chagall hat jahrelang daran gearbeitet. Das Bild ist von unerhörter, apokalyptischer Eindringlichkeit: ein roter Engel stürzt von oben rechts herunter, sein Auge - die Mitte des Bildes - ist entsetzt geöffnet. Von ihm aus gerät alles in rasende Bewegung: ein Mann wird in die Luft geschleudert, die Uhr als Symbol der Zeit biegt sich, der Rabbiner in der unteren linken Ecke weist erschrocken auf die Thora, in der die Schrecken vorhergesagt sind. Unten der ewig wan-dernde Jude vor einem verschneiten russischen Dorf.
Und doch sind da auch die Zeichen der Hoffnung:
das Tier, die Geige als Zeichen der Musik, die Frau mit dem Kind, der Leuchter und der Gekreuzigte. Leiden ist für Chagall eine letzte, äußerste menschliche Möglichkeit: wer es annimmt wie Christus, macht es fruchtbar, überwindet es.